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Linda Baur Schreiben zwischen sinnlicher Sprachlust und sprachtheoretischem Interesse Abstract: Die aus Japan stammende,
in Deutschland lebende Schriftstellerin Yoko Tawada verwandelt die sprachliche
und kulturelle Differenz zwischen Herkunftsland und Schreibort in eine
Reflexion über Sprache und die Voraussetzungen und Bedingungen
von Sprechen und Verstehen. Für sie ist Sprache weniger in ihrer
Funktion als Kommunikationsmedium von Interesse, sondern sie rückt
vielmehr die Erfahrung des Scheiterns von Kommunikation, der Irritation
der Wahrnehmung in den Vordergrund. So illustrieren Tawadas ethnologisch-literarische
Miniaturen eher die unhintergehbare Notwendigkeit, Bedeutung zuzuschreiben,
als die geglückte Entzifferung von Welt-Zeichen. Yoko Tawada wurde 1960 in Tokyo geboren. Seit 1982 lebt sie in Hamburg. Zwischen diesen beiden Orten, zwischen Deutschland und Japan, zwischen japanischen Schriftzeichen und deutschen Buchstaben bewegt sich das Schreiben Tawadas im Zwischenraum - dieser Zwischenraum wird auch sichtbar in der Bezeichnung "deutsch-japanische Autorin". Weder dem einem noch dem anderen Land und damit Zeichensystem will Tawada als Autorin ganz angehören. Viele ihrer deutschen Veröffentlichungen werden so gedruckt, daß man sie in zwei Richtungen lesen kann - auf deutsch von vorne nach hinten, auf japanisch in genau umgekehrter Richtung. Trotz dieser offensichtlichen Spannung zwischen "eigener" und "fremder" Sprache und Kultur liegt der Fokus von Tawadas Schreiben vielleicht noch mehr auf der Fremdheit der Sprache überhaupt (1); denn die Sprache als Protagonist, verknüpft mit metasprachlichen und sprachtheoretischen äußerungen, scheint bei Tawada mehr im Vordergrund zu stehen als die Funktion von Sprache als Kommunikationsmedium. Die Entzifferung der Welt Die Erfahrung kultureller und sprachlicher Fremdheit ist eine Grundbedingung von Tawadas Schreiben: Viele der Ich-Erzählerinnen haben mit der Autorin gemeinsam, als Japanerin in Deutschland zu leben, mit einem fremden Sprachsystem und einer fremden Kultur konfrontiert zu sein. Dieses zentrale Motiv, das Lesen und Deuten von kulturellen Codes, kehrt in den literarischen Essays des Bandes "Talisman" immer wieder. Die Titelgeschichte beispielsweise spielt das Motiv Talisman in wechselndem Kontext durch. Die Ich-Erzählerin bemerkt seltsame Metallstücke in den Ohren der deutschen Frauen und rätselt über ihre Bedeutung; sie vermutet, daß diese eine Funktion als Glücksbringer haben. Diese Interpretation wird von Gilda, der Ohrringträgerin, aber entschieden zurückgewiesen. Der scheinbar naive Blick der Erzählerin überträgt sich auf den Leser, der nun allerlei abergläubische Relikte, unbewußt magische Rituale auch in der westlichen Alltagswelt zu erkennen glaubt. Dieser pseudo-ethnologische Blick Tawadas ist ein semiotischer Blick, der nicht nur Buchstaben, sondern auch Gegenstände, Personen, Städte als zu entziffernden Text wahrnimmt. Da für Tawada die Sprache aber nicht in ihrer Funktion als Kommunikationsmedium interessant ist, sondern als Erfahrung das Scheitern von Kommunikation, die Irritation der Wahrnehmung in den Vordergrund rückt, illustrieren Tawadas ethnologisch-literarische Miniaturen eher die unhintergehbare Notwendigkeit, Bedeutung zuzuschreiben, als die geglückte Entzifferung von Welt-Zeichen. "Das Fremde aus der Dose" ist eine Erzählung, die die Differenz von Verpackung und Inhalt zum Thema hat. Das bunte Bild einer Japanerin, die eine verlockende Dose aus dem Supermarkt ziert, scheint in keiner Weise in Verbindung zum Inhalt der Konserve - Thunfisch - zu stehen. Die Protagonistin dieser Erzählung hat sich vorgenommen, sonntags keine Schriftzeichen, sondern Menschen zu lesen - die Menschen auf der Straße, in den Cafés werden in den Augen der Erzählerin zu Buchstaben: sie gruppieren sich zu Sätzen, driften wieder auseinander - aus ihren Begegnungen entsteht jedoch kein kohärenter Text, der in sprachliche Zeichen übersetzt werden könnte. In einer Gegenbewegung werden die Buchstaben auf einem Werbeplakat für die Ich-Erzählerin zu Wesen, die einen Körper zu besitzen scheinen: Der Buchstabe S beispielsweise erinnert an eine Schlange etc... Am Ende des Textes über das "Fremde aus der Dose" steht die überlegung, ob die fremde Stadt sich zu einem lesbaren Text ordnen lassen könnte - doch im Blick der Erzählerin zerfallen die einzelnen Zeichen, nur fragmentarisch kann der Text der Stadt gelesen werden. Der semiotische Blick Tawadas orientiert sich an Hans Blumenbergs "Lesbarkeit der Welt" und an neueren überlegungen, die den Begriff der Lesbarkeit über den Text hinaus auszuweiten versuchen. Wenn Albrecht Klöpfer im "Kritischen Lexikon der Gegenwartsliteratur" Yoko Tawada als poetische Ethnologin eigener und fremder Welten beschreibt, benennt er damit sicher ein zentrales Motiv des Schreibens von Tawada: Laut einer Aussage von Tawada ist die "Beschreibende", also die Ich-Erzählerin z.B. in "Talisman" jedoch selbst eine Erfindung, während Ethnologie sonst das Beschriebene erfindet. Diese Differenz zwischen Autorin und Protagonistin darf nicht verwischt werden: Auch wenn viele der weiblichen Protagonisten Parallelen mit der Autorin aufweisen, die geradezu verführerisch dazu auffordern, fiktive und reale Person zu verwechseln, sind die schreibenden Frauen in den Texten nicht mit Tawada identisch. Zwangsläufig vermischt sich Authentizität und Fiktion in den Köpfen der Leser, und gewiß spiegeln sich reale Erfahrungen kultureller und sprachlicher Fremdheit in ihren Texten wider. Daß Tawadas Texte aber über die Kategorie "Migrantenliteratur" hinausgehen, zeigen ihre komplexe Struktur und die zahlreichen theoretischen Implikationen. Der Essayband "Talisman" z.B. beispielsweise scheint maßgeblich von Roland Barthes beeinflußt: Nach einer Japan-Reise schrieb Barthes "Das Buch der Zeichen", das seine Erfahrungen in einem Land widerspiegelt, in dem ein dem Autor fremdes Zeichensystem allgegenwärtig ist, unlesbare Schrift-Bilder dominieren die Topographie der Städte. Auch bei Barthes stehen also vergebliche Entzifferungsversuche, die Konfrontation mit dem Unlesbaren im Vordergrund (2); von Tawadas früheren deutschen Prosatexten unterscheidet sich Barthes "Reich der Zeichen" insofern, als Tawada sich schreibend in der fremden Sprache bewegt, als sie aus dem Inneren der deutschen Sprache heraus ihre Perspektive auf das Andere entwirft. Daß eine Fremdsprache sich wie ein Fremdkörper auf den eigenen Körper legen kann, daß die Sprache als Medium Körperlichkeit gewinnt und so Sprachkörper und Körpersprache miteinander korrespondieren, ist ein weiterer Aspekt von Tawadas Poetologie. Körper und Sprache Tawadas Schreiben erscheint als Versuchsanordnung: Das Schreiben in einer Fremdsprache ist ein Experiment. In ihren Tübinger Poetik-Vorlesungen beschreibt die Autorin das Video eines Künstlers, der auf dem Kopf stehend so lange das Wort "lispeln" wiederholt, bis ihm die Artikulation unmöglich wird, die Zunge scheinbar so schwer wird, die zum Sprechen nötigen Bewegungen auszuführen. Dieses Bild evoziert Tawada, um ihre Situation als Schreibende in einer fremden Sprache zu verdeutlichen: Sehr oft beschreibt Tawada die Auswirkungen der fremden Worte auf ihren Körper, wie wenn die Ich-Erzählerin in "Das Fremde aus der Dose" z.B. behauptet, ein deutsches Wort würde "fremd" auf ihrer Zunge schmecken, als würde die ungewohnte Artikulationsweise zu einer Geschmacks-Sensation. Die Artikulation der Worte läßt diese in den Körper eindringen, schon der fremde Klang des Bleistifts verändert das Verhältnis der Schreibenden zu ihrem Schreib-Instrument, das bisher als "Enpitsu" bekannt war und im Deutschen durch den Artikel eine ungewohnte Männlichkeit zugeschrieben bekommt. Die sinnlichen Qualitäten der Sprache, insbesondere der Stimme, werden hervorgehoben in der Erzählung "Ein Gast": Es ist der Erzählerin kaum mehr möglich, Buchstaben zu lesen oder zu schreiben - die Welt der geschriebenen Zeichen verweigert sich ihr. Als sie aber auf einem Flohmarkt eine Literaturkassette mit einem - rein inhaltlich nichtssagenden - Roman kauft, geht die weibliche Stimme, die den Text spricht, beim Anhören direkt in ihren Körper ein und ergreift von ihm Besitz. Auch wenn die Kassette nicht läuft, ist die Erzählerin besessen von der Stimme, die in ihr weiterspricht. Die Körperlichkeit von Sprache manifestiert sich als Störung, Irritation: der routinierte Sprachfluß, das sichere permanente Weitersprechen des Muttersprachlers wird in "Das Fremde aus der Dose" von der Ich-Erzählerin als ekelhaft empfunden. Interessant wird es für Tawada dann, wenn das Sprechen stockt, wenn die Artikulation versagt. Dieses Interesse ist eine weitere Parallele zu Roland Barthes, dessen Faszination ebenfalls da beginnt, wo Rauhheit, Brechung im Sprechen mitschwingt, die Nebengeräusche, die in der perfekten Stimm-Akrobatik fehlen. Die fremde Sprache dringt bei Tawada als Fremdkörper in die Körper der Sprechenden ein, die Thematisierung dieser körperlichen Auswirkungen von Sprache korrespondiert in Tawadas Texten mit der Frage nach der Lesbarkeit der Körper: Das in den Augen des deutschen Freundes "ausdruckslose", nicht lesbare Gesicht der Protagonistin steht für eine Fehlinterpretation vor dem Hintergrund kultureller Differenz und Sehnsucht nach Lesbarkeit des Anderen. Daß eine Erotik der Sprache bei Tawada mehr im Vordergrund steht als eine Erotik der Körper, stimmt nur insofern, als Sprache und Körper ineinander verwoben sind. Die Sprache gewinnt bei Tawada auch insofern Macht über den Körper, als nicht die Menschen die Sprache benutzen, sondern SIE, die Sprache, die Menschen spricht. Die Befreiung der Buchstaben als Ziel der Poetik Tawadas? Mit dem Theaterstück "Zürich"
hat Yoko Tawada eine Hommage an die Züricher Dadaisten geschrieben
(3). Viele Spuren lassen sich in ihrem Werk verfolgen,
die Barthes "ästhetik des Signifikanten" weiterschreiben. Ausgewählte Werke von Yoko Tawada:
Literatur über die Autorin und ihre Bücher: Breger, Claudia: Mimikry als Grenzverwirrung. Parodistische Posen bei Yoko Tawada; IN: Claudia Benthien / Irmela Marei Krüger-Fürhoff (Hg.): über Grenzen. Limitationen und Transgressionen in Literatur und ästhetik; Stuttgart: 1999; S. 176-206 Gelzer, Florian: Worte von Gedanken trennen, Schreibweisen und Sprachprogrammatik bei Yoko Tawada; Lizenziatsarbeit; Basel: 1995 Grond, Walter: Das Deutschland der Yoko Tawada; IN: Stimmen. Ein Roman als Konzept; Graz: 1992; S. 89-100 Gross, Sabine: Lesezeichen. Kognition, Medium und Materialität im Leseprozeß; Darmstadt: 1994 Kreuzer, Helmut: Gastarbeiter-Literatur, Ausländer, Migranten-Literatur? Zur Einführung; IN: LiLi, Heft 56, 1984; S. 7-11 Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (3/00 64. Nachlieferung) S. 1-17 Hugo Dittberner in Zusammenarbeit mit Andrea Ehlert und Linda Anne Engelhardt (Hrsg.): Mit der Zeit erzählen? fragt er, Marcel Beyer Heiner Egge Gundi Feyrer Yoko Tawada, Das zweite Buch, Göttingen: 1995 Weigel, Sigrid: Laudatio auf Yoko Tawada; IN: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Künste; 1996; S. 373-386 Fußnoten (1) Siehe hierzu auch: Gelzer, Florian: Worte von Gedanken trennen, Schreibweisen und Sprachprogrammatik bei Yoko Tawada; Lizenziatsarbeit; Basel: 1998, S.92 f. zurück (2) Von Tawadas früheren deutschen Prosatexten unterscheidet sich Barthes "Reich der Zeichen" allerdings insofern, als Tawada sich schreibend in der fremden Sprache bewegt, als sie aus dem Inneren der deutschen Sprache heraus ihre Perspektive auf das Andere entwirft. So Florian Gelzer, der im Kapitel über den "sprachtheoretischen Kontext" der Poetik Tawadas den engen Bezug zu theoretischen Schriften Roland Barthes nachweist. Gelzer, Florian: Worte von Gedanken trennen, Schreibweisen und Sprachprogrammatik bei Yoko Tawada; Lizenziatsarbeit; Basel: 1998, S.60-67. zurück (3) Siehe ausführlicher zur Sprachprogrammatik Tawadas: Gelzer, Florian: Worte von Gedanken trennen, Schreibweisen und Sprachprogrammatik bei Yoko Tawada; Lizenziatsarbeit; Basel: 1998, S.67ff. zurück |
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