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Friday, 23 December 2016

in dieser seiner Verborgenheit

'Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander', lautet diese Stelle. Kann man sie in Begriffen wie 'Ethik und 'Verantwortung' denken? 

Das sind zwei Dinge. Verantwortung ist nun seit Hans Jonas auch noch ein anderes Thema. Verantwortung ist normalerweise eine solche für Menschen, primär für Abhängige, noch näher für Kinder und für Bereiche, in denen man eines Amtes waltet. Das ist die Ebene, in der Gespräche stattfinden. Das kommt mir, weil Jonas eine Verantwortung des Menschen nicht nur für die Menschheit annimt. Das ist eine Problematik, die mit diesem Hölderlin-Wort verbunden werden kann, und Heidegger würde sie sogar so verbinden. Zwar spricht er nicht über die Menschheit, aber darüber, daß wir am Ende des Abendlandes im Gespräch sein müssen mit dem Ursprung der griechischen Welt, der eben eines Gespräches bedarf, weil er ein sich selbst Verborgenes in sich trägt, das in diesem Gespräch in dieser seiner Verborgenheit doch zur Sprache kommen kann. Wissen wir von dem, was in aller Unverborgenheit verborgen bleibt, so werden wir zugleich uns selbst besser verstehen. Gadamer hat das Gespräch als die eigentliche Grundform des Verstehens angenommen. Wie ich glaube, habe ich darüber schon einiges gesagt: in einer Podiumsdiskussion zu Gadamer, fünfzig Jahre nach Wahrheit und Methode, die in einem von Carsten Dutt herausgegebenen Band erschienen ist. Darin sage ich einiges über das Gespräch, wie es Gadamer gedacht und wirklich praktiziert hat. Gadamer hat dieses geschichtliche Gespräch durchaus auch im Sinn, er modelliert es aber doch ganz nach dem spontanen Gespräch zwischen Menschen in seinem gedankenbildenden Wechselbezug.
 Über das, was ein Gespräch bedeuten kann, sagt Hölderlins 'Andenken' Gewichtiges: 'nicht ist es gut, / Seellos von sterblichen Gedanken zu sein. Doch gut / Ist ein Gespräch und zu sagen / Des Herzens Meinung'. Also: 'Seellos von sterblichen Gedanken', das bedeutet, sich mit den Sorgen des hinfälligen Lebens und in Gedanken an seine Begrenztheit zu beunruhigen und sich dabei etwa schließlich gar selbst zu verlieren. Aber ein Gespräch wäre gut, in dem 'des Herzens Meinung' zum Ausdruck kommen kann, in dem also das, was ich für mich selbst eigentlich bin und was letztlich für mich gilt, allererst klar heraustritt. 'Des Herzens Meinung', also der tiefsten Überzeugungen, kann man gar nicht für sich allein ganz sicher sein. Man muß sie in vetrautem Gespräch zu einem anderen aussprechen.

Dieter Henrich -- Sterbliche Gedanken