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Friday, October 05, 2018

GESPRÄCHSZEIT: Nino Lejava - Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung South Caucasus in Georgien. via @radiobremen

Nino Lejava im Podcast
(Klick auf das Bild)
[radiobremen.de] Ihr Land können die meisten Menschen im Westen nicht so richtig auf der Landkarte verorten. Es ist ein Land, das sich viele wohl als grau, düster und kalt vorstellen – und das in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse ist. Ein guter Anlass für Nino Lejava, die vor Ort die Grünen-nahe Böll-Stiftung leitet, um mit Klischees rund um ihre Heimat aufzuräumen.

Im Norden Russland, im Südwesten die Türkei, im Südwesten der Iran – Georgien muss sich gegen mächtige Nachbarn behaupten. Aber dennoch gehört es zu den Ländern, die im Westen oft unterschätzt werden. Dort wurde einst der Weinanbau erfunden, der immer noch eine große Rolle spielt, es gibt Skigebiete, Strände am Schwarzen Meer und das Land hat sogar eine eigene Schrift. Es ist aber auch das Geburtsland Stalins und Georgien ächzt unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Nino Lejava erlebt all das jeden Tag. In Tiflis leitet sie die Heinrich-Böll-Stiftung und beschäftigt sich intensiv mit den politischen Veränderungen im Land, zum Beispiel mit dem erfolgreichen Kampf gegen die Korruption im Land.

"Das war früher ein großes Problem. Heute ist es gerade umgekehrt, wo Georgien für viele verschiedene Länder das Musterbeispiel gibt, dass man das Problem auch bekämpfen könne, wenn der Wille da sei."

Menschen für Demokratie begeistern

Ihre Eltern schickten Nino Lejava als Kind in einen privaten Kindergarten. Dort lernte sie deutsch, was zu Sowjetzeiten noch als Bildungssprache galt. Durch ein Schüleraustauschprogramm verbrachte sie die 11. Klasse in einem bayerischen Internat, wo sich ihre Sprachkenntnisse verfestigten. Das Jura-Studium führte sie dann noch einmal nach Deutschland, nach Hamburg. Als Leiterin des Regionalbüros Südkaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt sie heute die Menschen in der Südkaukasus-Region, die sich für Demokratie einsetzen.

"Gerade heutzutage sehen wir auch in Deutschland wie wichtig es ist, sich tagtäglich in Deutschland für die Demokratie einzusetzen und auch Menschen für die Politik zu begeistern."

Einsatz für Naturschutz und Frieden

Auch für "grüne" Themen will Nino Lejava die Menschen in ihrem Land sensibilisieren. Georgien leide als ehemalige Sowjetrepublik immer noch unter umwelt- und naturschädlicher Wirtschaftspolitik, sagt die Juristin. Die Böden wurden ausgebeutet, das Grundwasser oft verseucht. Außerdem leidet das Land unter dem geopolitischen Konflikt mit Russland. Vor zehn Jahren noch standen sich Russen und Georgier in der Region Abchasien und Südossetien mit Panzern gegenüber. Derzeit gibt es keine Kampfhandlungen, aber "der Krieg geht voran", weiß Nino Lejava. Der Konflikt führe unter anderem dazu, dass es sehr viele Binnenflüchtlinge in Georgien gebe.

"Das prägt die Gesellschaft immer noch, weil die Menschen noch hoffen, in ihre Häuser zurückkehren zu dürfen. Aber diese Hoffnung wird immer weiter vertagt durch die politische Situation in der Region."

Gastland der Frankfurter Buchmesse

Jedes Jahr darf ein anderes Land seine Literatur und Kultur auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. In diesem Jahr hat Georgien die Chance, den Blick der Deutschen auf ihr Land zu ändern. Vorab erzählt Nino Lejava, die Leiterin der Böll-Stiftung in Tiflis, wie Bremen nach der georgischen Unabhängigkeitserklärung geholfen hat, ein neues Rechtssystem im Land aufzubauen, von welchen Kulturen die georgische Küche beeinflusst wurde und wie die christliche Kirche das Land immer noch prägt.

Das Gespräch zum Anhören:
"Georgien war jahrhundertelang Spielfeld von Großmächten" – Nino Lejava, Leiterin Böll-Stiftung Tiflis, [37:53]

Moderation: Jutta Günther

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 4. Oktober 2018, 18:05 Uhr

Weitere Informationen:

Alle Gespräche im Überblick


Gesprächszeit: Nino Haratischwili, Autorin am 08.10.2018, 18.05 Uhr [radiobremen]

Sunday, July 15, 2018

INTERVIEW: Die deutsch-georgische Autorin und Theaterfrau Nino Haratischwili über die "Sowjetmentalität" in Georgien. Mit Nino Haratischwili mailte Alexandra Kedves via @tagesanzeiger

Das ganze Interview: tagesanzeiger.ch


«Das Scheitern in der Fremde interessiert mich»

Die deutsch-georgische Autorin und Theaterfrau Nino Haratischwili erzählt, wie in Georgien die russischen Touristen geschätzt und gehasst werden und die Sowjetmentalität das Volk spaltet.

Mit ihrer Tochter spricht sie Georgisch wie mit ihrer Mutter. Aber ihre Werke schreibt die Wahl-Hamburgerin Nino Haratischwili auf Deutsch. Und das schon, seit sie an der deutschen Schule in Tiflis das Theater entdeckte und Stücke fürs Schulensemble verfasste. Davor hatte sie von 1995 bis 1997 mit der Mutter in Deutschland gelebt – damals, als in ihrer Heimat alles drunter und drüber ging. Mit 14 Jahren kehrte Nino Haratischwili zurück. In Tiflis studierte sie Filmregie und wechselte 2003, im Jahr der georgischen Rosenrevolution, an die Theaterakademie in Hamburg, wo sie heute lebt. Heimat und Fremde, Emanzipationsschritte und Verzweiflungssprünge – diese Themen lassen die ­Regisseurin, Dramatikerin und Prosa­autorin nicht mehr los.

2018 erhielt Haratischwili für ihre Theaterstücke und den über 1000-seitigen Roman «Das achte Leben (Für Brilka)» den Bertolt-Brecht-Preis der Stadt Augsburg. Zu Saisonende war am Pfauen ihr wilder Putzfrauenmonolog «Die Barbaren» zu sehen, in dem eine aus dem slawischen Raum eingewanderte Reinigungskraft sich über die neuen Flüchtlinge aufregt. Für die nächste Spielzeit ist eine weitere schweizerische Erstaufführung geplant. Nino Haratischwilis vierter, 750-seitiger Roman «Die Katze und der General» über den Zerfall des Sowjetreichs, die Folgekriege und die Sehnsucht nach Erlösung wird Ende August erscheinen.

Sie sind zurzeit in Georgien: Wie reagiert man da auf die russische Charme-Offensive via WM?

Der Grossteil der Georgier reagiert auf das meiste, was in der russischen Politik geschieht, negativ bis ablehnend. Dazu gehört auch die WM. Das Verhältnis zu Russland ist und bleibt schwierig, ­obwohl Georgien von russischen Touristen überschwemmt wird. Anscheinend zieht bei ihnen der Spruch: «Micheil Saa­kaschwili, der Erzfeind, ist weg, wir können da wieder Urlaub machen.» Offenbar hat Georgien für Russland nie auf­gehört, das sonnige Sehnsuchtsland schlechthin zu sein.

Wie ist es als «Sehnsuchtsland»?
Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, da ist erst mal egal, woher die Touristen sind. Aber es müssen die richtigen Akzente gesetzt, eine Vision für Georgien als Reiseland entwickelt werden. Das fehlt noch, meiner Meinung nach. Ein Beispiel: Fährt ein niederländischer Reisebus durch die georgischen Berge und trifft auf einen Bauern, der seine Waren anbietet, kaufen sie 1 bis 2 Liter Tschatscha (Grappa) und ein wenig von den Süsswaren. Aber die Russen steigen aus, kaufen 100 Liter Tschatscha und alle Süsswaren. Das ist für den Bauern zwar lukrativer, aber ich wünschte mir, dass Georgien auch in der Tourismusbranche Strukturen schafft, die ebenso viele Menschen aus dem Westen anziehen wie aus Nord und Ost.


In den Nullerjahren herrschte grosse Armut in Georgien.
 Gerade wirtschaftlich ist für mich wenig Veränderung spürbar, trotz aller Versprechungen seit der Unabhängigkeit von 1991. Der Tourismus floriert, und vor allem kulturell wurden grosse Schritte gemacht. Die junge kreative Szene pulsiert, man spürt eine Aufbruchstimmung. Das macht mich sehr glücklich, denn meine Generation war überwiegend von Stagnation geprägt. Aber wirtschaftlich gehts dem Grossteil der Bevölkerung schlecht. Die Arbeits­losigkeit ist nach wie vor hoch, und auch wer arbeitet, kommt kaum über die Runden, weil die Löhne so miserabel sind – ein zentrales Problem. Und es gibt ­immer wieder Protestaktionen, auch wegen den zahlreichen, oft tödlichen Arbeitsunfällen auf Baustellen und in Bergwerken. Ich hoffe, dass der Druck wächst und die Verantwortlichen zwingt, Menschenleben und Arbeitskräfte besser wertzuschätzen.

Lang nahmen Sie dem Land übel, dass es die Augen verschloss gegenüber der Vergangenheit. Wie geht Georgien heute damit um?
Von einer gesellschaftlichen Aufarbeitung kann kaum die Rede sein. Es ist leider noch so, dass Georgien die jüngste Vergangenheit nicht wirklich analysiert hat. Auch in der Schule fehlts am Hinterfragen. Aber es gibt zaghafte Versuche von Einzelnen und Institutionen. Vor allem Künstler nehmen sich Themen aus der jüngsten Geschichte vor.


Sie erlebten in der Kindheit Mangel und Bürgerkrieg. Prägte Sie das?
Ja, wie alle, die damals hier lebten. Aber ich war ein Kind, durch meine Familie geschützt. Man nahm vieles hin, weil man es nicht anders kannte. Und natürlich hatte man genauso Freude und Abenteuer wie Kinder aus Wohlstandsgesellschaften. Uns schützte quasi das Kindsein vor Bürgerkrieg und Wirtschaftskollaps. Für unsere Eltern war es weitaus schlimmer. Die Vorstellung, in jener Zeit für ein Kind sorgen zu müssen, finde ich aus heutiger Sicht fürchterlich. Ich vermute, die Tatsache, dass die Georgier so sehr im Heute leben, hängt stark mit damals zusammen. Man hat nie die Sicherheit, dass morgen alles noch genauso ist wie heute, und geniesst den Augenblick viel intensiver als etwa in Deutschland.


Man zählt Georgien auch zu den «defekten Demokratien» – zu Recht?
Da müsste man erst Begriffe klären. Vereinfacht gesagt: Georgien ist von einer zentraleuropäischen Demokratie noch recht weit weg. Doch das Bewusstsein geht in Richtung Zivilgesellschaft, bei den Jüngeren ist der Wille da. Politisch ist viel zu tun, schwierig gestalten sich auch Veränderungen bei den Älte­ren. Deren Mentalität ist noch sehr sowjetisch geprägt. Die Gesellschaft ist extrem gespalten, das spürt man im Alltag.


Was ist für Sie selbst heute Heimat?
Je älter ich werde und je öfter ich das gefragt werde, desto weniger weiss ich es. Die Sprache ist auf jeden Fall ein wichtiger Teil davon, aber nicht alles. Ich fühle mich im Deutschen nicht minder heimisch als im Georgischen. Wovon ich aber überzeugt bin, ist, dass Heimat etwas mit Selbstverständlichkeit zu tun hat. Man bewegt sich frei.


Sie schreiben auf Deutsch.
Georgisch ist und bleibt meine Muttersprache, ich spreche sie auch mit meiner kleinen Tochter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sie nicht beherrscht. Diese Sprache soll auch ein Teil ihrer Identität werden.


Um Identität kreist auch Ihr Werk.
Ich bin selbst Migrantin und beschäftige mich mit Migration und Weggehen. Wobei mich beim Stück «Die zweite Frau», das bald in Zürich inszeniert wird, wie auch in «Die Barbaren» das Scheitern in der Fremde mindestens ebenso interessiert hat. Das Nie-wirklich-Ankommen. Die Träume, die am neuen Land zerschellen. Diese zerrissenen Lebensentwürfe sind unglaublich traurig. Ich finde es auch wichtig, dass Figuren zur Sprache kommen, die normalerweise in der Gesellschaft keine Stimme haben. Es ist ein wenig erschreckend, dass post­migrantisches Theater nicht automatisch als Teil der Theaterlandschaft verstanden wird.


Was kann und soll Theater heute im politischen Diskurs leisten?
Ich finde es eher störend, wenn das Theater der Aktualität hinterherrennt, die Nachrichten auf die Bühne holen will. Bestünde darin die Funktion des Theaters, gäbs keine Zuschauer für «Die Orestie» oder «Hamlet». Für mich funktioniert Theater in der Übersetzung – die mach ich, bitte schön, als Zuschauer selbst. Das Theater sollte sich für meinen Geschmack mehr auf die Menschen zurückbesinnen: die Figuren, die Zuschauer im Menschsein abholen und nicht nur einen intellektuellen Diskurs anstreben. Die Emotionalität geht im Gegenwartstheater oft flöten. Schade, dass man die Kraft der Emotionen auch im politischen Sinn unterschätzt.


Und die kommunistische Idee von Brüderlichkeit überzeugt Sie nicht?
Liest man marxistische Thesen, stimmt man oft zu. Aber für mich bleibt es eine grosse Utopie. Für einen Sozialismus im besten Sinne müsste der Mensch anders sein, als er ist. Er dürfte nicht nach Macht streben und die eigenen Interessen an erste Stelle setzen, nicht habgierig sein und nach eigenen Vorteilen suchen. So wurde die Idee des Sozialismus binnen weniger Tage nach der Machtübernahme der Bolschewiki verraten.


In «Die Barbaren» beschwert sich eine ehemalige Flüchtlingsfrau über die neuen Flüchtlinge.
Die Idee zu «Die Barbaren» bekam ich im Zug, wo vor mir eine Ausländerin sass und lautstark über Flüchtlinge schimpfte. Es war eine absurde, fast komische Situation, da die empörten Deutschen sich nicht trauten, etwas zu sagen, da sie selbst eine Ausländerin war. Sie wiederholte ständig, ihr sei nichts geschenkt worden. Irgendwie fand ich diesen Gedanken furchtbar und zugleich traurig. Als wäre sie eifersüchtig auf die Flüchtlinge, die von ihrer Wahlheimat aus ihrer Sicht besser behandelt wurden. Als hätte sie nie die ersehnte Anerkennung in Deutschland bekommen, obwohl sie glaubte, alles richtig gemacht zu haben. Später stellte ich zu meinem grossen ­Erstaunen fest, dass gerade Ausländer oft extrem viele Ressentiments gegen Flüchtlinge haben.


Sie schöpfen aus der Wirklichkeit; wieso trennen Sie beim Schreiben streng vom Privaten?
Persönlich sind alle meine Texte, sie ­gehen mich alle emotional etwas an. ­Privat – also eins zu eins aus eigenem ­Erleben – würde ich aber nie etwas aufschreiben, denn das hiesse, meine Fantasie der Realität unterordnen zu müssen. Das ist es nicht, was mich beim Schreiben interessiert. Ich möchte verschiedene Leben durchleben können, mir etwa vorstellen, wie es ist, ein 60-jähriger Mann zu sein, der an den Kommunismus glaubt.


Hat sich seit Ihrer Ankunft 2003 viel geändert in Deutschland?
Natürlich verändern sich die Dinge permanent, das ist auch gut so. Die Menschen glauben immer, in den «extremsten» Zeiten zu leben. Die Sehnsucht nach früher ist nichts anderes als die nach der eigenen Jugend, dem Punkt im Leben, wo noch alles offen schien. Aber welche Zeit war denn bitte schöner und friedlicher als heute? Ich halte nichts von der ewigen Fokussierung auf «wie schlimm alles geworden ist». Klar, die nationalistischen Tendenzen haben europaweit erschreckend zugenommen. Man muss damit umgehen, nach Dialog suchen, auch wenn man vor jemandem steht, mit dem man eigentlich niemals auch nur ein Wort wechseln will. Die Verhärtung der Fronten ist keine Lösung. Was für mich eindeutig anders ist als 2003, ist der Riss, der durch die Gesellschaft geht. Die Mitte geht verloren, die entgegengesetzten Seiten driften immer weiter auseinander.

Friday, December 19, 2014

VIDEO: Streiraum - Denk ich an Russland mit Nino Haratischwili (vimeo.com)


Denk ich an Russland...... from streitraum on Vimeo.


Alice Bota, Marina Davydova, Nino Haratischwili und Katja Petrowskaja im Gespräch mit Carolin Emcke

(vimeo.com) Obgleich über Russland nahezu täglich zu lesen und zu hören ist, scheint es uns immer fremder zu werden. Die politischen Debatten über die Ukraine sind gegenwärtig aufgeladen mit Zorn und wechselseitigen Vorwürfen. Vielleicht hilft es da, einen Blick auf Russland aus eher ästhetischer-literarischer Perspektive zu werfen. Wie lässt sich in dieser Situation von Russland (oder der Ukraine) erzählen, wie suchen Schriftstellerinnen, Dramaturgen und Journalistinnen nach einer Form, nach einer Sprache, in der sich nach einem Zugang zur Geschichte, zu den Menschen suchen lässt? Ist es der Fiktion möglicherweise eher möglich, ein genaues Dokument der Gegenwart zu zeichnen? Hilft die Nähe der Beobachtung oder hilft Distanz?

Monday, December 15, 2014

ARTE: Nino Haratischwili "Das achte Leben". Von Petra Wiegers (info.arte.tv)

(info.arte.tv) Vor elf Jahren im Alter von 20 Jahren kam die georgische Schriftstellerin Nino Haratischwili nach Deutschland. Als Theaterregisseurin hat sie sich inzwischen einen Namen gemacht. Nun ist ihr drittes Buch „Das achte Leben (Für Brilka)" erschienen. Es wird als eines der wichtigsten Bücher dieses Jahres gefeiert. Petra Wiegers hat die Autorin in München getroffen.

Saturday, November 29, 2014

STREITRAUM: »Denk ich an Russland ...« 14.12.2014, 12.00 Uhr, in Berlin (schaubuehne.de)

(schaubuehne.de) Mit Alice Bota, Marina Davydova, Nino Haratischwili und Katja Petrowskaja im Gespräch mit Carolin Emcke

schaubühne berlinObgleich über Russland nahezu täglich zu lesen und zu hören ist, scheint es uns immer fremder zu werden. Die politischen Debatten über die Ukraine sind gegenwärtig aufgeladen mit Zorn und wechselseitigen Vorwürfen. Vielleicht hilft es da, einen Blick auf Russland aus eher ästhetischer-literarischer Perspektive zu werfen. Wie lässt sich in dieser Situation von Russland (oder der Ukraine) erzählen, wie suchen Schriftstellerinnen, Dramaturgen und Journalistinnen nach einer Form, nach einer Sprache, in der sich nach einem Zugang zur Geschichte, zu den Menschen suchen lässt? Ist es der Fiktion möglicherweise eher möglich, ein genaues Dokument der Gegenwart zu zeichnen? Hilft die Nähe der Beobachtung oder hilft Distanz? 

Schaubühne am Lehniner Platz 
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin
Zentrale: Tel +49.30.890020

Friday, October 03, 2014

REZENSION: Nino Haratischwilis „Das achte Leben (Für Brilka)“ – Über die Unausweichlichkeit dieser beispielhaften Leben. Von Bernd Schneid (medienobservationen.lmu.de)


DSCF0997(medienobservationen.lmu.de) Diesen Herbst wird die deutsche Literaturlandschaft endlich um einen großen neuen Roman reicher. Reich nicht nur ob sein es Umfangs von fast 1300 Seiten, sondern reich auf Grund seiner 107 Jahre umfassenden erzählten Zeit, die einen anderen Blickwinkel auf da s vermeintlich bekannte 20. Jahrhundert liefert. Einen Blickwinkel auf das Jahrhundert der ehemaligen Sowjetunion und auf den Verfall der georgischen Familie Jaschi, auf ihre Schicksale, ihre Lieben, Geburten, Tode und ihre fluchbehafteten Schokoladengeheimnisse.

Ein achtes Leben? Keine einfache 8, auch nicht die 9 Leben einer Katze können diesen Roman zusammenfassen, sondern ∞ wie unendlich. So beginnt der Roman und so schließt sich auch der Kreis oder besser das Möbiusband, das diesen grandiosen Roman umfasst. Zentrum der Jahrhunderterzählung ist die georgische Familie Jaschi aus Tbilissi in der auch die Autorin Nino Haratischwili 1983 geboren wurde und die neben ihrer Arbeit als Theaterregisseurin und Dramatikerin bisher die beiden Romane "Juja" und "Mein sanfter Zwilling" veröffentlicht hat.

"Das achte Leben (Für Brilka)" ist zweifelsohne ein literarischer Durchbruch. Es sind die acht Leben der familiär sich forterzählenden ProtagonistInnen des Romans, die den Schrecklichkeiten des 20. Jahrhunderts im "sowjetischen" Umfeld zu trotzen versuchen: Stasia, Christine, Kostja, Kitty, Elene, Daria, Niza und zu guter Letzt Brilka (die auch eigentlich Anastasia heißt, den Bezug zur Urgroßmutter mit demselben Namen herstellt und so einen Bogen von 1900 bis über 2000 spannt).

Parallel wird von Niza (der Erzählerin, die Historikerin ist) dann auch noch die Geschichte des 20. Jahrhunderts sehr versiert zusammengefasst. Das ist sowohl die Geschichte der ehemaligen Sowjetunion, als auch letztlich die der europäischen und internationalen Geschichte, die unausweichlich miteinander verknüpft sind, mit ihren Weltkriegen, dem Kalten Krieg, über die Perestroika und so weiter.

Die komplex verwobenen Paargeschichten um Stasia und Simon, Christine und Rabas, Gula und Andro, Kostja und Kitty, Kitty und Fred, Kitty und Giorgi und all den folgenden sind beeindruckend angeordnet und spiegeln eine lange literarische Tradition. Nicht von ungefähr kann man ein paar bekannte Namen aus der Weltliteratur finden, wie die bereits erwähnte Anastasia oder Daria und Kitty, die man aus Tolstois "Anna Karenina" kennt oder in anderer Form und Tradition bei Flauberts Emma Bovary und Fontanes Effi Briest findet, deren ProtagonistInnen in „Das achte Leben (Für Brilka)“ mit einer aktualisierten Durchschlagkraft auferstehen.

Doch in Haratischwilis Romanepos geht es nicht allein um Gefühl und Verführung, um das Anna-Karenina-Prinzip der glücklichen oder unglücklichen Familien, das ja Nabokov in seinem Roman "Ada, oder Das Verlangen" schon kongenial anders interpretiert und übersetzt hat, um das Prinzip jener Familien, die sich gleichen oder unterscheiden; nein, es geht nicht nur um Ehen und Ehebrüche, um Züge, Kutschen und Duelle, Grafen und weite Felder, wie das in vielen Kolportagen serialisiert wurde. Im „achten Leben“ geht es um diese Metaphern und Motive als die existentiellen Themen eben dieser Weltliteratur, aktualisiert für das 20. Jahrhundert.

Es scheint fast so, als ob die Weltkriege nie geendet haben und sich stattdessen immer wieder fortpflanzten. All die in der Erzählung gewählten Orte wie Klassenzimmer oder Druckereien werden im Roman umfunktioniert zu schrecklichen Heterotopien mit Folter und Vergewaltigungen, einem totalitären Staat und nie zu tilgender Schuld. Die Orte verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung und werden zum Trauma der jeweiligen Verhältnisse. Edith Piafs "La Foule" liefert der Erzählerin Niza in einer ihrer schwersten Stunden einen besonders bitteren Soundtrack, der einem den Hals zuschnürt.

Doch eines zeigt Haratischwilis Romanepos neben all dem Grauen: dass die ProtagonistInnen immer Sinn und Hoffnung aufrechterhalten, auch wenn es manchmal kaum möglich ist, einen unbedingten Lebenswillen und eine Hingabe an das Leben. Das dicht konstruierte Handlungsgefüge verwendet hierfür ebenfalls eine aktualisierte Tradition des magischen Realismus, wie ihn z.B. schon Bulgakow in "Der Meister und Margarita" vertreten hat. Ob Schicksal, Faktum oder Magie, die individuell-kollektiven ProtagonistInnen sind in eine historische Differenz eingeschrieben, für die jegliche Deterritorialisierung unmöglich ist und für die es keine staatliche Sicherheit mehr geben kann.

„Das achte Leben (Für Brilka)“ verdient Raum, um all die Verwebungen zu analysieren, die Haratischwili herstellt. In Motiven und Symbolen wird die Geschichte der Sowjetunion, mit Georgien, Tbilissi und den Kleinen großen Männern oder Diktatoren, verknüpft. Das Rezept für eine besondere und „magische“ Schokolade stellt sich gegenüber die als Intertexte fungierenden Zitate von Anna Achmatowa bis David Bowie. Auch ein epischer Witz aus Dantes Inferno reflektiert mit dem Figurenpersonal aus all den Schwestern, Brüdern, Männern, Frauen, Kindern, Gespenstern und dem unendlichen Meer zwischen Himmel und Chaos, den ewigen Kreislauf zwischen Schöpfung und Zerstörung.

Wenn man also bemäkeln wollte, dass es unrealistisch sei, dass sich die Figuren immer wieder treffen, dass es artifiziell konstruiert erscheint, dass gerade die und der schließlich zueinander finden und der und die aneinander zerbrechen, ob hier, ob dort: es ist nicht zufällig. Nein, die spannende Struktur des Romans macht diesen familiären Stamm notwendig. Die Familie Jaschi ist das Gewebe dieses Teppichs. Ihre über fünf Generationen und acht Schicksale ausgebreitete Geschichte ist eben nicht wahllos, sondern ergibt am Ende eine spezielle und doch allgemeine Chronik des 20. Jahrhunderts. Ob in Tbilisi, Moskau, Berlin oder Paris, die Charaktere – allen voran die im Westen als Protests ängerin erfolgreiche Kitty – liefern einen individuell-kollektiven Spiegel der Geschichte.

In „Das achte Leben (Für Brilka)“ entfaltet sich kein purer sozialer Realismus, sondern eine magische Realismus-Möglichkeit, die unabdingbar mit der Erzählerin Niza verbunden ist, die bis hin zur Urgroßmutter Anastasia zurückblickt und die unbeugsame Realität der Zeit, der Gesellschaft und ihrer ProtagonistInn en zeigt. Das süße Zauberrezept des Schokoladenfabrikanten und Ururgroßvaters von Niza ist das magische Serum, das gar nicht anders kann, als ein letztes Geheimnis aufzubewahren. Was aber ist das Geheimnis dieses süßen Familienfluchs? Gibt es den überhaupt? Sollte er bewahrt werden? Darauf gibt die Erzählung letzten Endes die einzig mögliche Antwort. Denn Adressatin dieses Epos ist für Niza die 13-jährige Nichte Brilka, die als Endpunkt dieser besonderen und dennoch beispielhaften Figuren das gegenwärtigste Leben im Gefüge dieser fluchbeladenen Familie repräsentiert. Wenn Niza am Ende diesen roten Schokoladenfaden endlich kappt, schließt sich der Kreis erst wirklich.

Die Literatur steht hier am Umschlagpunkt zur Geschichte, die Literatur und der unendliche Wunsch zu erzählen, die Wahrhaftigkeit auszusprechen, das Schweigen zu durchbrechen und immer wieder die ursprüngliche Liebesbeziehung jede r Botschaft als transsubstantiellen Akt zu zeigen. Denn nicht immer – oder sogar nie – steckt tatsächlich ein Familienfluch hinter einer geheimen Schokoladenmischung, sondern es ist die Unausweichlichkeit von Hippolyte Taines Diktum temps, race, milieu, dem die ProtagonistInnen ausgesetzt sind. Dagegen hilft tat sächlich nur das unendliche Weitererzählen, ein bisschen Magie und die Sendung von Liebesbotschaften, die Kitty persönlich in ihren Liedern verpackt und um die ganze Welt schickt.

Die literarischste Metaphorik zeigt der Roman in diesem Sinne mit dem Teppich und seiner Herstellung. Man muss sich die ProtagonistInnen als Teppichwirkerinnen vorstellen, ständig am familiären Text webend, die das Geflecht, das diese beispielhaften Leben miteinander verknüpft, anordnen, in eine Ordnung bringen, die wahrhaftig ist, erotisch, grausam, rührselig, ohnmächtig, mächtig, aber auch komisch und zärtlich. Allezeit jedoch ist die Erzählung von einer tiefen Ehrlichkeit durchzogen, die gegen das Schweigen der Macht anschreibt und eine Notwendigkeit des immerwährenden Versuchs des Erzählens deutlich macht. Nicht allein für Niza wird das notwendig, die in ihrer Funktion als direkte Erzählerin des Romans fungiert, sondern auch im Hinblick auf die vielleicht zukünftige Erzählerin Brilka, für die Ni za die Familienchronik niederschreibt. Brilkas Roman jedoch bleibt ungeschrieben, muss noch geschrieben werden, wie de r Erzähler in Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasov" das schon mit Aljoscha angedeutet hat. Denn auch Niza kann die Unendlichkeit dieser Erzählungen nicht allein tragen. Aber sie kann Verantwortung übernehmen. Für ihre Nichte. Und das tut sie mit ihrer Erzählung. Sie durchbricht das Schweigen.

Leben ist im „achten Leben“ Erzählen, unendliches Erzählen, wie in Tausendundeiner Nacht, gegen den Tod, gegen die Gra uen des 20. Jahrhunderts, ob in der Gefangenschaft von Sultanen oder einem gewissen Generalissimus (wie Stalin hier nur genannt wird). Die Geschichten sind Teppiche und Schichten aus Geschichten, die Ebene um Ebene verwoben sind, Faden um Faden verknüpfen, abschneiden und wieder neu aufnehmen. Haratischwilis Romanepos zeigt die Unausweichlichkeit dieser beispielhaften Leben. Es liegt nicht alles in der Hand der Figuren. Schreckliche Dinge passieren.Die Zukunft bleibt in einem gewissen Nebel. Es kann jedenfalls kein einfaches Happy End geben. Das Erzählen muss weitergehen.

Kurzum, Nino Haratischwili hat mit „Das achte Leben (FürBrilka)“ einen existentiellen und historisch bedeutsamen Gesellschafts- und Familienroman der deutschen Gegenwartsliteratur geschrieben, der noch lange nachhallen wird. Die deutsche Literatur wird mit diesem Roman durch eine unerwartete deutsch-georgische Verbindung und Freundschaft bereichert. Und letzten Endes geht es in diesem Gefüge um nichts anderes als um eine Leerstelle, das titelgebende ac hte Buch als achtes Leben von Brilka, das noch nicht geschrieben ist. Es bleibt der Wunsch nach einem Zustand der Geschichte im Werden.

Und letzten Endes geht es in diesem Gefüge um nichts anderes als um den Wunsch nach dem, was Don DeLillo ans Ende seines großen Romanepos Unterwelt als letztes Wort stellt: ...

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Blog von Bernd Schneid: ecrinautik.blog.de
phil. Bernd Schneid, born in 1978. 1995 Education as an machining mechanic. 2004 Study in German Literature, Theatre Studies and American Literature in Munich. 2009 completion as Master of Arts. Then doctorate to spring 2012 in Literature and Media Studies. Since 2013 Assistant to the Board for an Association for Psychotherapists and freelance Author.
Focus: phenomenology, psychoanalysis, poststrukturalism, deconstruction, media theories, theatre, film, television and epicity.
Books about Shakespeare and the return of the epic in Quality-TV exemplified on The Sopranos and Lost.

PDF: medienobservationen.lmu.de/pdf

twitter: twitter.com/Ecrinautik

Friday, September 05, 2014

LITERATUR: Nino Haratischwili, Das achte Leben (Für Brilka). (perlentaucher.de)

(perlentaucher.de)
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2014
ISBN 9783627002084
Gebunden, 1280 Seiten, 34,00 EUR


Klappentext

Georgien, 1900: Mit der Geburt Stasias, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten, beginnt dieses berauschende Opus über sechs Generationen. Stasia wächst in der wohlhabenden Oberschicht auf und heiratet jung den Weißgardisten Simon Jaschi, der am Vorabend der Oktoberrevolution nach Petrograd versetzt wird, weit weg von seiLiteratner Frau. Als Stalin an die Macht kommt, sucht Stasia mit ihren beiden Kindern Kitty und Kostja in Tbilissi Schutz bei ihrer Schwester Christine, die bekannt ist für ihre atemberaubende Schönheit. Doch als der Geheimdienstler Lawrenti Beria auf sie aufmerksam wird, hat das fatale Folgen ..

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2014

Tilman Spreckelsen ist tief beeindruckt, wie meisterlich Nino Haratischwili auf den knapp eintausenddreihundert Seiten ihres Romans "Das achte Leben" Spannung und Kohärenz aufrechterhält. Die Autorin erzählt die Geschichte einer Familie über sechs Generationen, die im Georgien des zwanzigsten Jahrhunderts mit den Realien der Sowjetunion konfrontiert sind, an denen sie meist auf die eine oder andere Weise scheitern, fasst der Rezensent zusammen. Das familiäre Erbe, die fatalen Wiederholungen, werden durch den "Fluch der Schokolade" verkörpert, verrät Spreckelsen: nach dem Rezept des Ururgroßvaters der Erzählerin wird eine verhängnisvolle heiße Schokolade zubereitet, die zwar eine "geistige Ekstase" verheißt, aber jeden, der bisher von ihr zu probieren wagte, schnell ins Unglück gestürzt hat, erklärt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.08.2014

Dem Osten ganz nah kommt Burkhard Müller mit diesem Riesenroman von Nino Harataschwili. Dass die Autorin ihre georgische Generationen-Saga auf Deutsch schreibt, ist für Müller ein besonderer Genuss, gelingt es der Autorin doch, der Sprache eine Frische abzugewinnen, die laut Müller kein Muttersprachler erzwingen könnte, und was dazu führt, dass der Rezensent auf über 1200 Seiten keine einzige Phrase lesen muss. In der Mischung aus Eigenem und Fremdem also besteht für Müller ein Reiz des Buches. Ein weiterer liegt für den Rezensenten in der Weite des gezeichneten Tableaus, das Privates und Weltgeschichtliches vereint. 100 Jahre, vom Terror der 20er bis heute, sechs Generationen und einen Raum, der von Tbilissi über Moskau und London bis nach Berlin reicht, umfasst der große Text, erklärt Müller. Einen nennenswerten Plot entdeckt er zwar nicht, dafür jedoch eine Menge eigenwilliger Figuren, fantastische Begegnungen und eine unumschränkte Heldin: Georgien.

Tuesday, June 24, 2014

PREMIERE: Land der ersten Dinge / Bludička - 14. November 2014. Von Nino Haratischwili (deutschestheater.de)

(deutschestheater.de) Die deutsch-georgische Autorin Nino Haratischwili lässt zwei Frauen aufeinandertreffen: Lara, eine ehemals erfolgreiche Richterin aus dem Westen, und ihre aus Osteuropa stammende Pflegekraft Natalia. Während die beiden Frauen trotz kultureller und persönlicher Differenzen versuchen, ihren Alltag zu bestreiten, werden sie von ihren Erinnerungen eingeholt und sind gezwungen, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen. Wüstenlichter / Bludička ist eine von fünf Produktionen, die im Rahmen der europäischen Theaterkooperation 'The Art of Ageing / Die Kunst des Alterns' entstehen. Entwickelt wurde das Projekt von der European Theatre Convention (ETC), gefördert aus Mitteln der Europäischen Kommission.

Uraufführung

14. November 2014

Regie: Brit Bartkowiak

Thursday, February 27, 2014

FRANKFURTER BUCHMESSE: Gastland 2018 ist Georgien (boersenblatt.net)

in english >>>

(boersenblatt.net) In Berlin wurden heute, am 27. Februar, die Verträge für den Ehrengastauftritt Georgiens auf der Frankfurter Buchmesse 2018 unterzeichnet. Neben dem 'jungen' Buchmarkt, mache die Energie im gesamten Kulturbereich wie Film und Musik das Land interessant, begründet die Frankfurter Buchmesse die Auswahl.

Zur Unterzeichnung kamen der georgische Kulturminister Guram Odisharia (Ministry of Culture and Monument Protection of Georgia), der georgische Botschafter Lado Chanturia und Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, zusammen.

Georgien sei ein Kulturland auf der Kreuzung zwischen Orient und Okzident. Nicht nur der Buchmarkt, der sich in einem stetigen Prozess der Professionalisierung befinde, sondern auch die Energie im gesamten Kulturbereich wie Film und Musik machen das Land interessant und trugen zur Auswahl als Gastland 2018 bei, heißt es in der Presseinformation der Frankfurter Buchmesse. Geplant wird der Auftritt zunächst beim georgischen Kulturministerium, das bei der Organisation eng mit der Anlaufstelle für Übersetzungsförderung und dem Verleger- und Buchhändlerverband zusammenarbeiten wird.

"Wir freuen uns sehr, dieses kulturell aufregende Land 2018 als Gast begrüßen zu dürfen", sagt Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse. "Gerade weil wir zuvor noch nie mit einem derart 'jungen' Buchmarkt kooperiert haben, erscheint es uns besonders reizvoll in den nächsten vier Jahren die georgische Publikations-Szene bei den Vorbereitungen begleiten zu können."

Zum georgischen Buchmarkt

Mit rund 70 Verlagen, 100 Buchhandlungen und zehn Großhändlern ist der Buchmarkt Georgiens eher klein, so die Frankfurter Buchmesse, aber die Professionalisierung und auch ein stetiges Wachstum sind zu verzeichnen.

Die Anzahl der verfügbaren Exemplare hat sich von 2008 auf 2011 fast vervierfacht (Gesamtauflagen 2011: 7,7 Millionen). Der Jahresumsatz auf dem Buchmarkt lag in 2011 bei etwa 20 Millionen Euro. Derzeit erscheinen jährlich circa 3.500 neue Titel. Das Kinderbuch (28 Prozent) und Belletristik (26 Prozent) machen den Großteil des Umsatzes aus. Ein Wachstumsmarkt für die Verlage sind Schulbücher. Knapp 600 Titel werden jährlich aus verschiedenen Sprachen ins Georgische übersetzt (2012). Deutsche Verlage verkaufen derzeit etwa 20 bis 30 Lizenzen pro Jahr nach Georgien. In Deutschland sind die georgischen Schriftstellerinnen Nino Haratischwili (Hotlist – Buchpreis der unabhängigen Verlage für "Mein sanfter Zwilling") und Tamta Melaschwili (Deutscher Jugendliteraturpreis 2013 für "Abzählen") bereits bekannt.

Ehrengast-Programm auf der Frankfurter Buchmesse

Seit Begründung des Ehrengast-Programms auf der Frankfurter Buchmesse 1976 haben sich bis 2013 bereits 29 Länder und Kulturregionen präsentiert. 2014 ist Finnland (Motto: Finnland. Cool.) Ehrengast, gefolgt von Indonesien im Jahr 2015.

Wednesday, October 30, 2013

LITERATUR: Techno der Jaguare. Die junge georgische Literaturszene. - 03.11.2013 · 00:05 Uhr - Von Mirko Schwanitz (dradio.de)

(dradio.de) Die aus Georgien stammende und auf Deutsch schreibende Autorin Nino Haratischwili wurde für ihren Roman "Mein sanfter Zwilling" von der Kritik als "neue Heldin der deutschsprachigen Literatur" gefeiert. Und Tamta Melaschwili ist in diesem Jahr mit ihrem Roman "Abzählen" für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Nur zwei Namen, die zeigen, dass Georgien nach langen Jahren der Dunkelheit und verlorener Kriege auch literarisch im Aufbruch ist. 


Nino Haratischwili (Bild: Robert Bosch Stiftung/Yves Noir)
Eine neue, ebenso lebendige wie vielstimmige Literaturszene hat sich heraus gebildet, die wortmächtig gegen die Schatten der Vergangenheit anschreibt. Allerdings gibt es gerademal eine Handvoll literarische Übersetzer, die Texte aus dem Georgischen ins Deutsche übertragen können. Der Weg hinein in die europäische Literatur ist für Georgiens Autoren steiniger, als für Autoren aus anderen Ländern. Doch sie sind dabei, das zu ändern ...

Sunday, October 20, 2013

LITERATUR: Starke Frauen, eitle Männer. "Techno der Jaguare - Neue Erzählerinnen aus Georgien", Frankfurter Verlagsanstalt. Von Simone Hamm (dradio.de)

(dradio.de) So unterschiedlich die Sujets der Geschichten im georgischen Erzählband "Techno der Jaguare" auch sein mögen, eines ist ihnen gemeinsam: die radikal weibliche Perspektive. Selbstbewusst hinterfragen die Autorinnen sowohl die traditionellen wie die postsowjetischen Rollenklischees.


Stellvertretend für alle Erzählerinnen in
Die ewig wartende Geliebte eines verheirateten Mannes, aus deren Kopf über Nacht ein Buch wächst. Eine Killerin, die kühl so agiert, als stamme sie aus einem amerikanischen Film der 40er-Jahre. Eine Journalistin, deren Körper von einem offenbar blinden Bildhauer ganz langsam abgetastet wird. Eine Dolmetscherin, die im Hotel einer erbärmlichen Stadt die Minibar leer trinkt, während sie überlegt, ob sie sich auf die Avancen eines schönen Asiaten einlassen soll. Eine Under-Cover-Agentin im Jaguarkostüm auf einem Halloweenfest, die dem DJ aus dem Baumstamm näher kommt. Eine Suchende auf dem Weg zu neun Hütten, in denen sie die Wahrheit zu finden hofft. Eine Sterbende in der Welt aus Glas, die eine erbitterte Fehde mit ihrer Tochter austrägt. 

Das sind die Hauptfiguren aus dem Erzählband "Techno der Jaguare - neue Erzählerinnen aus Georgien". "Neu" können eigentlich nur Erzählungen, nicht Erzählerinnen sein - soviel zur sprachlichen Sorgfalt. Es sind Erzählungen von Frauen über Frauen, genauer, fünf Erzählungen, ein Ausschnitt aus einem Roman und ein Dramolett.

Zwei georgische Autorinnen haben in den letzten Jahren aufhorchen lassen. Tamta Melaschwilli mit ihrem kurzen Roman "Abzählen". Fast ausschließlich in wörtlicher Rede erzählt sie von drei Tagen im Leben zweier dreizehnjähriger Mädchen während des georgisch-russischen Krieges. Ihre Sprache ist atemlos, stakkatohaft, kühn. Und Nino Haratischwili mit ihrem Roman "Mein sanfter Zwilling", einer tragisch - tödlichen Geschichte von Liebe, Schuld und Sühne zwischen Hamburg und Tiflis. Ein Roman voller Kraft und Wucht.

Das lässt neugierig werden auf den Erzählband "Techno der Jaguare", in dem die Autorinnen beide vertreten sind: Tamta Melaschwilli mit der kurzen Erzählung "Killer's Job" über eine Berufskillerin, die aber nicht immer das tut, was ihre Auftraggeber wollen.

Ich habe mich noch nicht entscheiden, wen ich umbringen würde, ihn oder den "alten Mann", wie er seinen Geschäftspartner nannte. "Noch einen Expresso, einen doppelten diesmal", sagte ich zum Ober.

Tamta Melaschwilli spielt mit dem Sujet Detektivroman der 40er-Jahre. Doch das aufregend Neue, so ganz andere, das "Abzählen" zu einem so starken Debut gemacht hat, fehlt in dieser Geschichte. Der Plot ist vorhersehbar. Und das gilt auch für die anderen Erzählungen. Sie sind allesamt sehr konventionell, auf einen Höhepunkt hingeschrieben.

Ganz stark beginnt Ekateriene Tongonidzes "W-E-G". Ein Spiel von Sehen und Fühlen und Erahnen, so scheint es zunächst. Eine junge Journalist darf einen Bildhauer besuchen, der völlig zurückgezogen lebt und normalerweise keine Interviews gibt. Die Kunstwelt glaubt, er sei blind. Doch das gibt er nur vor. Die beiden kommen sich näher. Wie weit wird sie gehen für ihre Story?

Sie steht ihm Modell, er berührt ihren Körper. Eine Liebesaffäre fängt an. Sie hat nicht den geringsten Zweifel an seiner Blindheit. Er glaubt sich von ihr durchschaut, glaubt, sie werde sein Geheimnis in die Welt schreien. Er rächt sich grausam für den vermeintlichen Verrat. So könnte eine Roald-Dahl-Geschichte enden.

"Techno der Jaguare" hat eine ungewöhnliche Aufmachung. Unter der Überschrift einer jeden Erzählung ist ein Foto der Autorin zu sehen. Die meisten sind auf einem Barhocker fotografiert worden. Selbstbewusstsein strahlen sie aus. Lässig stützt sich Maka Mikeladze auf den Hocker. Ihre Erzählung "Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft" mutet surrealistisch an. Dass aber jeder auf den Seiten dieses Buches liest, was er daraus lesen will, die eine eine seichte Liebesgeschichte, der andere eine Excell-Tabelle, dass der Protagonistin auf einer Party andere Leute begegnen, denen Bücher aus dem Kopf wachsen und Webcams und Monitore, ist dann doch allzu durchsichtig.

Die auf Deutsch schreibende Nino Haratischwili hat ein kleines Theaterstück für drei Schauspielerinnen geschrieben. Tochter Agnes lebt in diesem Haus aus Glas und geht auf Scherben. Und hasst die Mutter für ihre Kälte:

"Ich habe immer gedacht, wenn ich ein Messer in sie ramme, dann wird sie gar nicht bluten, so hart ist sie, hart wie Stahl. Ich habe mir immer vorgestellt, wenn ich sie anfasse, wenn ich sie kneife, ganz fest, so fest, dass ich meine ganzen Muskeln dabei anspannen muss, dann wird sie sich nicht rühren. Sie wird nichts empfinden, während ich rot anlaufe vor lauter Anspannung und Krampf und anfange zu schwitzen. Und ich gebe mir die Blöße, und sie bleibt so, wie sie immer war, ätherisch, abweisend, unnahbar."

Kühl plant die schwerkranke Mutter über ihren Tod hinaus, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, durch keine Provokation der Tochter, kein schlechtes Benehmen ihres Mannes. Ihre Haushaltshilfe, eine Frau aus dem Osten, soll ihre Nachfolgerin werden, die zweite Frau.

"Ich sterbe und du übernimmst meinen Platz, an diesen gottverlassenen, verseuchten, zerfallenen Ort wirst du zu - mir. Du kriegst eine gestörte Tochter und einen 'rumhurenden Mann als Mitgift."

Der 'rumhurende Mann hat einen tödlichen Unfall. Doch die dem Tod geweihte Frau lässt sich nur kurz aus der Ruhe bringen. Schließlich hat sie etwas anderes geplant. Und dieser Plan wird aufgehen.

Nino Haratischwili lässt Mutter und Tochter ihr Innerstes nach außen kehren. Abstand wahrt nur die Haushaltshilfe. Durch diesen Kunstgriff wirken die Verletzungen, die sich Laura und Agnes antun, noch schärfer.

"Techno der Jaguare" ist ein Ausschnitt aus dem gleichnamigen Roman und spielt zunächst in New York: auf Vernissagen, in Cafés, auf Partys. Nene Kwinikadze lässt eine ihrer Protagonistinnen sattsam bekannte Vorurteile herunter rattern:

Hier lebt jeder allein. Die Menschen hier kommen aus aller Welt und konkurrieren miteinander. Die ist ein Land von Ledigen, an Familiengründung denkt niemand.

Nach Europa zurückgekehrt arbeitet Gogona für eine Antiterror-Schule. Sie soll beobachten, berichten und so helfen, Attentate zu verhindern. Und obwohl sie das Geräusch der Käfer im Tisch des Nachbarn hören kann, ist sie eine schlechte Beobachterin.

Eka Tchilawa kehrt mit ihrer Protagonistin zurück in die Kindheit. "In den neun Hütten" heißt ihre Erzählung. Die Hütte des Vaters ist durchtränkt von dem Geruch, den Adna so liebt, dem Geruch des Vaters. In der leeren Hütte krümmt sie sich vor Schmerzen. In der Fischhütte flüstert ein dicker Mann mit borstigen Zähnen ihr zu, sie gehöre nur ihm allein.

Der Mann öffnet gierig seine Hosenknöpfe...Unzählige dünne Fädchen in seinen Augen...der stechende Schmerz und der schnelle Atem des Mannes flirten durch ihr Bewusstsein...Sie dachte, der Tod riecht nach Fisch.

Erst in der neunten Hütte hat Adna die Traumata der Kindheit überwunden. Hier fühlt sie sich frei. Auch in dieser Erzählung ist alles überdeutlich, kein Raum für Interpretationen. Nichts wird offengelassen.

Anna Kordzaina-Samadaschwilis schreibt umgangssprachlich- schnoddrig, selbstironisch. Ihre Erzählung beginnt mit den Worten: "Meine Heldin war eine recht gebildete Frau." Dadurch schafft sie eine wohltuende Distanz zu den Protagonisten. Diese Heldin in "Das historische Gedächtnis" schüttet sich trotzig einen Whiskey nach dem anderen ein. Sie gefällt den Männern, aber der, der ihr gefällt, ist verheiratet und kommt nur auf einen Sprung herein.

Ihr könnt mich mal! Ich werde es schon noch schaffen, das Leben zu genießen, jung zu sterben und einen schönen Körper zu hinterlassen. Nur, dass ich das Leben nicht mehr so richtig genießen kann, von Jugendfrische auch keine Rede mehr ist und von Schönheit ebenso wenig.

Die Männer in den georgischen Erzählungen sind unzuverlässig und selbstgefällig, eitle, unverständige Liebhaber. Die Frauen stehen zwar auf eigenen Beinen, haben aber Sehnsüchte, die nichts und niemand erfüllen kann.

Die Erzählungen mögen gelungen oder weniger gelungen ein, und gewiss geben sie einen interessanten Einblick in das Leben georgischer Frauen - aber sie reichen an die großartigen Romane "Abzählen" von Tamta Melaschwilli und Nino Haratischwilis " Mein sanfter Zwilling" nicht heran.

"Techno der Jaguare - neue Erzählerinnen aus Georgien"
Aus dem Georgischen von Maia Tabukaschwilli, Maka Kandelki, Anastasia Kamarauli, Mariam Kamarauli, Irma Schiolaschwilli und Susanne Schmidt.
Frankfurter Verlagsanstalt. 256 Seiten 19,90 Euro


Mit: Anna Kordzaia-Samadaschwili , Maka Mikeladze , Ekaterine Togonidze , Eka Tchilawa , Tamta Melaschwili , Nestan Kwinikadze , Nino Haratischwili , Jost Gippert , Manana Tandaschwili

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Wednesday, April 17, 2013

LITERATUR: Ekaterine Togonidze, Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili über Georgien. (klappentexterin.wordpress.com)

522696_492943927433301_311941260_nNEUQuelleklappentexterin.wordpress.com

Ekaterine Togonidze wurde 1981 geboren, ist Schriftstellerin, Moderatorin und Journalistin. Ihr Debüt, Das Schöne, wurde vom Kulturministerium Georgiens mit dem Preis “Die beste Erzählung des Jahres 2011″ ausgezeichnet. Für ihren Roman Anästhesie erhielt sie 2012 den “Saba” für das beste Debüt des Jahres. (Foto: Nakanimamasakhlisi)

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nino_haratischwili13-1NEUNino Haratischwili wurde 1983 geboren. Sie wurde mehrfach für ihre Arbeit als Theaterautorin und -regisseurin ausgezeichnet. 2010 erhielt sie für ihre Theaterarbeit den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Ihr Romandebüt Juja erschien 2010 und war für die Longlist des Deutschen Buchpreises und die Shortlist des ZDF aspekte Literaturpreises nominiert. 2011 gewann sie für Juja den Debütpreis des Buddenbrockhauses Lübeck. Im gleichen Jahr wurde ihr Roman Mein sanfter Zwilling mit dem Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage ausgezeichnet. Die Autorin schreibt auf Deutsch und lebt in Hamburg.
(Foto: Julia Bührle-Nowikowa)


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IMG_3097damdidiNEUTamta Melaschwili wurde 1979 geboren. Die Autorin wuchs in Georgien auf, lebte ein Jahr in Deutschland und begann hier zu schreiben. 2010 erschien ihr Debütroman Abzählen und wurde im gleichen Jahr mit dem Literaturpreis “Saba” ausgezeichnet. 2012 erschien Abzählen auf Deutsch und wurde für die Hotlist nominiert. Im gleichen Jahr war sie für einen Monat Gast des Literarischen Colloquiums in Berlin. Tamta Melaschwili lebt derzeit in Georgien und engagiert sich für Frauenrechte und Genderfragen. (Foto: Nino Kharchilava)

(klappentexterin.wordpress.com) Klappentexterin: Ich treffe in Ihren Geschichten Frauen, die ihre Rolle in der modernen Welt suchen und ihr Gehör verschaffen wollen. Teilweise sind sie Suchende, manchmal Verlorene. Inwiefern spiegeln sie das heutige Bild der modernen Frau in Georgien wider?

Ekaterine Togonidze:
Ich habe mir bewusst eine Frau ausgesucht, die geographisch nirgendwo verortet ist. Es war mir wichtig, ihr keine Art von ethnischen und nationalen Merkmalen mitzugeben. Würde man diese Frau in georgischen Kontext setzen, dann würde sie zu einer Minderheit zählen. Weil sie eine von den Frauen ist, die karriereorientiert, auch selbstbewusst, unabhängig, frei sind und so ihr Leben leben. Das ist nach wie vor nicht die Mehrzahl.


Nino Haratischwili: Das Stück spielt im Westen und ist nicht georgischtypisch. Es gibt Lena, die für den Osten steht und die definitiv keine moderne oder meine Generation repräsentiert, sondern eine ältere. Sie ist für mich eher ein symbolisches Sinnbild für den Osten.

Tamta Melaschwili: Die Romanheldin in meiner Erzählung ist eine professionelle Killerin. Sie ist eine Frau, die gegen das System kämpft, es dafür aber auch gleichzeitig nutzen muss.

Das literarische Georgien wurde durch Sie – Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili – in Deutschland bekannter, und doch scheint es noch recht leise zu sein in dem internationalen Literaturuniversum. Woran mag das liegen?

TM: Das Allererste war natürlich, dass man über 70 Jahre komplett im Sowjetraum eingesperrt war. Danach die 20 Jahre war man mit dem Krieg und Überleben, wirtschaftlicher Inflation, Arbeitslosigkeit beschäftigt und keiner hatte Zeit, sich um Literatur zu kümmern. Und jetzt gerade – so peu à peu – hat man damit begonnen. Man kümmert sich erst seit wenigen Jahren, hier auf der Messe. In Leipzig, glaube ich, ist es das zweite Mal, aber in Frankfurt waren es mehr als sieben, acht Mal.


NH: Man steckt noch wirklich in Kinderschuhen und braucht Zeit.

Was wünschen Sie sich für die georgische Literaturszene?

ET: In erster Linie wünschen wir uns Übersetzungen, beidseitig, vor allem das Georgische ins Deutsche, Englische oder Italienische übersetzt wird. Alles, was übersetzt wurde, ist nichts für die Schublade oder im Computer geblieben. Jeder hat seinen Verlag oder eine Nische gefunden, sei es eine Anthologie oder direkt ein Roman. Es wurde tatsächlich publiziert, ob ins Russische, Englische oder Deutsche. Deswegen muss man das viel mehr machen, weil offenbar Interesse vorhanden ist. Und wenn man das statistisch betrachtet, dann ist das keine so schlechte Zahl. Angesichts dessen, wie wenig letztlich dafür getan wurde, hat man schon ganz gut Andockungen gefunden. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit in der Kulturpolitik wäre wichtig, damit mehr und gezielter getan wird.


Wie sehen Sie die Lage für Künstler in Georgien?

ET: Die meisten brauchen einen zweiten Job, weil man von Kunst allein nicht leben kann.


TM: Jetzt ist gerade eine spannende Umbruchzeit und eine neue Generation entsteht, die viel experimenteller ist, die ganz viel ausprobieren und etwas Neues beginnen könnte.

NH: Ich würde mich Tamta anschließen, denn es passiert schon Etwas, auch in Richtung Theater, nicht nur Literatur, aber es ist schon finanziell sehr schwer. Ich kenne eigentlich niemanden, der von der Kunst allein leben kann, bis auf sehr wenige Ausnahmen.

Wie unterscheidet sich der Alltag einer georgischen von dem einer deutschen Frau?
 
NH: Ich glaube, dass es eine Frau in Deutschland grundsätzlich leichter hat, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Sie hat viel mehr Möglichkeiten. Und das hängt nicht von der sozialen Schicht ab, denn hier kann auch jemand mit wenig Geld studieren. Die georgischen Frauen haben weniger Auswahl, weil der wirtschaftliche und finanzielle Rahmen nicht gegeben ist und nur ganz wenige sich das leisten können, wirklich loszumarschieren und einen Job zu kriegen, mit dem sie sich selbst ernähren können. Man lebt sehr stark in Gemeinschaften. Das führt zu weniger Selbstbestimmung und mehr Einfluss seitens der anderen Generationen und auch der Männer. Deshalb haben die Frauen in Georgien gar nicht das Bewusstsein, was sie alles könnten und welche alternativen Lebensformen es noch gibt. Auch die, die in Europa und Amerika studiert haben, sind nicht von diesen Zwängen und Bestimmungen der Gesellschaft befreit. Viele gehen dann doch in diese Form zurück.


Wieso?

NH: Ich glaube, es ist ganz viel Angst.


TM: In erster Linie ist die Gemeinschaft wichtig und dann das Individuum. Das ist die Norm. Und alles, wogegen du abweichst, erfordert eine unglaubliche Geduld und Kraft, Individualität und einen Willen, das durchzuziehen, weil du ständig in dem Kampf mit der Mehrheit stehst. Es ist nun nicht so, dass es dein Leben bedroht, aber du kannst ganz leicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.

ET: Zunächst war es eine schöne Idee. Wenn sie dann jedoch Realität wird, kann man schnell Angst bekommen und man merkt, dass es doch schwieriger ist, es durchzuziehen.

Haben Sie AutorInnen, zu denen Sie aufschauen?

TM: Ich bin verliebt in Etgar Keret. Er ist der beste Kurzgeschichten-Autor. Außerdem schätze ich Elfriede Jelinek.


ET: Meine letzte Entdeckung war Doris Lessing.

NH: Von den georgischen Autoren gibt es für uns Autoren wie Michael Javakishwili. Ich habe unendlich viele Autoren, gerade die allerletzte Entdeckung, die mich total umgehauen hat, war Arundhati Roy. Ich bin gerade auf einen Inder-Trip. Kürzlich habe ich auch Per Olov Enquist entdeckt. In letzter Zeit bin ich forschungsbezogen auch mit Literatur zum zweiten Weltkrieg beschäftigt.

Wie die Autorin Marica Bodrožić schreiben Sie, liebe Nino Haratischwili, auf Deutsch und nicht in Ihrer Muttersprache. Fühlen Sie sich der Sprache näher?

NH: Ich weiß es nicht. Es gibt immer diese Frage. Es gab für mich keine bewusste Entscheidung, ich fange jetzt an, auf Deutsch zu schreiben. Das war ein schleichender Prozess. Ich sehe schon ein, dass es für die meisten ungewöhnlich ist, doch für mich ist es sehr natürlich geworden. Deswegen habe ich das auch nicht so groß und viel hinterfragt. Ich glaube aber, wenn man es ganz küchenpsychologisch betrachtet, war die Zeit, als ich anfing zu schreiben, eine Umbruchzeit. Das war eine Teeniezeit, in der ich einen gewissen Abstand zu bestimmten Dingen brauchte, die mir sehr nahe gingen. Ob es auf Georgien bezogen war oder auf das Private. Da bot sich Deutsch tatsächlich an, eine bestimmte Distanz einzunehmen und so eine Art Außenblick zu bekommen. Irgendwann wurde es zu einer Selbstverständlichkeit, weil ich halt hier lebe. Würde ich wieder in Georgien leben, ich weiß nicht, ob das Georgische in die literarische Sprache zurückkäme. Ich hoffe. Für mich hat Sprache sehr viel mit dem Hier und Jetzt zu tun. Es wäre komisch, hier zu leben und auf Georgisch zu schreiben.


Tamta Melaschwili, Ihr Debüt “Abzählen” wurde 2010 mit dem nationalen Literaturpreis “Saba” für das beste Debüt des Jahres ausgezeichnet. Ihr Debütroman, liebe Ekaterine Togonidze, “Anästhesie” erhielt 2012 den “Saba”. Und Sie, liebe Nino Haratischwili, haben den Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage gewonnen. Was hat sich damit für Sie verändert?

TM: Der Verkauf hat sich gesteigert. Sobald man diesen Preis gewinnt, merkt man in Georgien, dass das öffentliche Interesse geweckt wird und dass die Leute gezielt das Buch in Buchhandlungen suchen. Es trägt mehr dazu bei, dass die Wahrnehmung eines Autors gesteigert wird.


ET: Es ist natürlich – preisbezogen – eine kurze, kleine erfreuliche Erleichterung für jeden Autor, der – wie gesagt – gerade in Georgien um so schwieriger mit dem finanziellen Überleben zu kämpfen hat. Das ist bei “Saba” eine verhältnismäßig gute Summe.

Wann dürfen wir uns über neue Bücher von Ihnen freuen?

NH: Ich schreibe an einem Roman und hoffe, dass ich 2013 noch fertig werde und der Roman 2014 erscheint. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen, weil ich mich noch im Schreibprozess befinde.


TM: Ich will Anfang September beginnen und irgendwann Mitte 2014 fertig werden. Es reift und keimt alles in meinem Kopf und ich hoffe, dass es qualitativ hochwertig ist, damit das Werk wieder übersetzt wird.

ET: Ich schreibe an meinem Roman und ich will, dass er 2013/14 fertig wird.

Ich danke den drei Autorinnen für die Zeit, die sich genommen haben. Und für das Interview, das mir viel Freude bereitet hat. Ich wünsche Ekaterine Togonidze, Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili alles Gute und weiterhin viel Erfolg!

Tuesday, September 11, 2012

THEATER: Frische Empörung, erfrorene Wut. Nino Haratischwilis Fassung von "Elektra" (web.de)

Im Jungen Schauspielhaus überzeugt Nino Haratischwilis Fassung von "Elektra"

Wieder zu Hause, wieder angekommen in der sogenannten normalen Welt, noch ein paar Takte Günther Jauch gesehen: vier Männer in dunklen Anzügen, eine Frau im beigen Kostüm - und ach, all dieses wabernde Gerede, mal hierhin, mal dorthin! Wie anders war da zuvor das Theater. Wie konzentriert auf den Konflikt ausgerichtet, wie konsequent und gültig in seiner Formsprache. Dieses altmodische Medium, ohne Kameraschwenk, ohne Einspieler, ohne flotte Schalte irgendwohin. In diesem Fall: "Elektra", der klassische Stoff in einer neuen Fassung von Nino Haratischwili, inszeniert von Klaus Schumacher und damit gegeben im Jungen Schauspielhaus.

Die Bühne eine grell-pinke Welt, eine flauschige Teppichlandschaft mit Blick auf einen nahezu abgeholzten Wald, Spielwiese und Tatort zugleich. In weißen Schleiflackvitrinen präsentieren sich Waffen wie Kunstexponate: vom Krummdolch von einst bis zum Maschinengewehr unserer Tage. Und mittendrin Elektra, die junge Frau, die so zornig wie erwartungsvoll auf ihren im Krieg verschollenen Bruder Orestes wartet. Denn kommt er, wird noch heute aufgeräumt werden mit dem verhassten Stiefvater Aigisthos und der treulosen Mutter, der Klytaimnestra; wird Vater Agamemnon gerächt werden, der vom Kampf gegen Troja zurückfand und ausgerechnet im eigenen Haus starb.

Orestes, er wird kommen. Doch nicht voller Tatendrang betritt der das Haus, wird nicht länger getragen von geschwisterlicher Liebe und dem gemeinsamen Entschluss für den Kampf der Jungen gegen die Alten: Gebrochen ist er, verwirrt und noch mehr desillusioniert. Er kommt nicht allein: Mit ihm kommt Polyxena, die Königstochter aus Troja, die als eine der wenigen das Gemetzel überlebt hat, das der geliebte Bruder und der so vergötterte Vater mit großer Selbstverständlichkeit angerichtet haben. "Vater, du warst kein Mörder! Oder?", muss Elektra ausrufen.

Das Stück ist gedacht für Menschen ab 15 Jahren aufwärts, und Haratischwili/Schumacher werden diesem Auftrag mehr als gerecht: Als eine Parabel auf unsere Weigerung, die Kriege unserer Tage zur Kenntnis zu nehmen, lässt es sich lesen - ausweitbar bis hin zum Afghanistan-Krieg, wenn Orestes sich als ein durch und durch vom Krieg erschütterter Jüngling präsentiert, der trinkend und um innere Ruhe flehend über die Bühne taumelt. Aber auch unmittelbarere Deutung bietet sich an: der Kampf der anfangs so radikal moralischen Kinder gegen die vom Realitätsprinzip korrumpierten Eltern.

Die wollen die Konflikte überdecken, wollen Frieden, und sei er noch so halbherzig angelegt: "Vielleicht sollten wir einmal versuchen, wie eine ganz normale Familie zu Abend zu essen!", ruft Aigisthos, der Ersatzvater, voller Inbrunst aus. Normal sein - das wird nicht gelingen. Vielschichtig hat Haratischwili ihre Personen angelegt, und Schumacher führt sie entsprechend: Hermann Book als pragmatischer, aber auch hilfloser Aigisthos und Christine Ochsenhofer als diffus fühlende Klytaimnestra bilden das Elternpaar.

Ihnen gegenüber schlüpft Jonathan Müller in die Rolle von Elektras jüngerem Bruder Theo als unbedarfter Partygänger, der doch ahnt, dass aller Spaß am Ende seinen Preis hat. Dazu gesellen sich Florens Schmidt als traumatisierter Orestes und Katharina Lütten als Polyxena, die verzeihen will, aber nicht kann. Und vorneweg Angelina Häntsch als Elektra, deren anfangs frische Empörung sich so überzeugend in erfrorene Wut wandelt. So gab es am Ende viel, viel Applaus für diese überaus sehenswerte Produktion, die es in sich hat: Sie hallt noch lange am nächsten Tag nach.

Quelle: welt.de

Saturday, June 23, 2012

LESUNG: Einladung zur Lesung und Diskussion im Literaturhaus München (literaturhaus-muenchen.de)

am 2. Juli 2012 um 20.00 Uhr
Literaturhaus München, Salvatorplatz 1
80333 München

Die Veranstaltungsreihe "Georgien 3mal anders" findet am 2. Juli und 5. August in München statt. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe wird georgische Kultur dreimal anders präsentiert: in den Bereichen Literatur, Kunst und Musik.

Nino Haratischwili (© Yves Noir) und Tamta Melaschwili (© Unionsverlag)Am 2. Juli werden zum ersten Mal Autorinnen aus Georgien im Literaturhaus München zu Gast sein. Es lesen aus ihren Werken Tamta Melaschwili ("Abzählen", deutsch von Natia Mikeladse-Bachsoliani) und Nino Haratischwili ("Mein sanfter Zwilling").

Die Schauspielerin Katrin von Steinberg wird die deutsche Übersetzung des von Tamta Melaschwili auf georgisch gelesenen Textes vortragen. Im Anschluß an die Lesung werden die beiden Autorinnen mit der deutschen Moderatorin Julia Encke zusammen diskutieren. Vor der Lesung wird die Slideshow "Fotoeindrücke Georgien" gezeigt. Zum Ausklang des Abends werden georgische Weine angeboten.

Nach der Ausstellungseröffnung am 5. August 2012 wird das "Daphioni"- Klaviertrio um 20:00 Uhr im wunderschönen Innenhof des Münchner Künstlerhauses auftreten und sowohl Eigenkompositionen als auch weitere Werke bekannter georgischer Komponisten aufführen. Das Trio wird unter anderem Werke von Russudan Meipariani, Gyia Kancheli und Alfred Schnittke präsentieren. 
Das "Daphioni" Klaviertrio, bestehend aus Russudan Meipariani (Klavier), Natalie Meipariani (Geige) und Giga Khelaia (Violoncello), wurde 1998 gegründet. Der Name "Daphioni" bedeutet in der altgeorgischen Sprache Morgendämmerung und wurde von den Musikern wegen des Klangs des Wortes gewählt. Das Trio ist Preisträger des georgischen Kammermusikwettbewerbs "Sulchan Zinzadse" (mit zusätzlichem Sonderpreis "Beste künstlerische Darbietung"), des internationalen "Guadamora"-Kammermusikwettbewerbs in Spanien und des internationalen "Carlo Soliva"-Musikwettbewerbs in Italien. Im März 2009 gewann das Trio, unterstützt von David Stützel (Obertongesang und Singende Säge), als "Russudan Meipariani Ensemble" den Creole Weltmusikwettbewerb Südwest in Mannheim.

 Ausführlichere und aktuelle Infos unter: www.moe-kulturmanager.de

zur Website der Robert Bosch StiftungDie Veranstaltungsreihe wurde von der Robert Bosch Kulturmanagerin Elene Chechelaschvili konzipiert und organisiert - im Rahmen des Programms "Kulturmanager aus Mittel-und Osteuropa" von der Robert Bosch Stiftung.

Sunday, May 06, 2012

THEATER: Elektra. Von Nino Haratischwili in Hamburg (schauspielhaus.de)

»Die Wahrheit ist immer das Jetzt oder das Warten auf das Unmögliche.« Nino Haratischwili 


Mit »Elektra« eröffnen wir die Spielzeit. Einer jungen Frau, die glaubt, die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben, die aber im Zuge der Geschichte auf Wahrheiten gestoßen wird, von denen sie nicht einmal ahnte, dass es sie gibt.

Elektra wartet auf ihren Bruder Orest, den sie über alles liebt. Sie wartet auf die Einlösung nihres gemeinsamen Racheschwurs: die Mutter töten, den Stiefvater töten. Als Kinder versprachen sie einander, sich immer zu lieben und nie zu vergessen, was geschehen war. Die Mutter soll für den Tod des Vaters büßen. In den Augen ihrer Kinder ist sie Hure und Mörderin. Elektra wartet seit zehn Jahren. All ihre Liebe und Hoffnung konserviert sie in ihrem Inneren für ihren Bruder. All ihren Hass richtet sie gegen Mutter und Stiefvater. Und Elektra rebelliert: gegen das Herrschaftssystem der Mutter und des Stiefvaters, das in ihren Augen eine verlogene, dekadente Oase ist. Elektra wartet auf den Tag der Erlösung durch Orest: Dann endlich sollen sich ihre Liebe und ihre politische Vision von einer besseren Welt erfüllen.

Mit »Elektra« setzen wir die Zusammenarbeit mit der Hamburger Autorin Nino Haratischwili fort. Sie schreibt für das Junge Schauspielhaus eine Neufassung des antiken Stoffs und konzentriert sich dabei auf die jungen Protagonisten, die gegen die Elterngeneration rebellieren.

Uraufführung 9. September 2012, Malersaal | regie Klaus Schumacher, bühne Katrin karolina fijas Plötzky, kostüme Heide Kastler, musik Tobias Vethake

Quelle: 
www.schauspielhaus.de
www.kulturserver-hamburg.de